„Mehr Demokratie am Arbeitsplatz!“: unter diesem Motto stand die Aktionswoche des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) und die europäischen Branchendachverbände der Gewerkschaften in dieser Woche. Eine gewerkschaftsübergreifende Petition zu diesem Thema hat innerhalb kürzester Zeit 2800 Unterschriften erhalten. Kein Wunder, denn das Thema ist aktuell wichtiger als je zuvor. Arbeitnehmer*innen sind in der ganzen EU mit den ökonomischen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie konfrontiert. Gleichzeitig baut sich eine massive Welle von Restrukturierungen auf, die droht, Tausende Arbeitsplätze mit sich zu reißen. Wir brauchen jetzt eine effektive Durchsetzung des Rechts auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer*innen und müssen ihre Beteiligung an den Entscheidungsprozessen in Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen garantieren.

Mitbestimmungsrechte in Europa durchsetzen

Ich möchte mich im Europäischen Parlament dafür einsetzen, dass die Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmer*innen in Europa wirksam durchgesetzt werden. Seit 2002 gibt es die Richtlinie, die einen europäischen Rahmen für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer*innen in den Mitgliedsstaaten setzt. Sie ist ein wichtiges Instrument zur Förderung des sozialen Dialogs in den EU-Mitgliedsstaaten und legt fest, dass Beschäftigte informiert und konsultiert werden müssen, wenn beispielsweise Arbeitsplätze in ihrem Betrieb gefährdet sind. Leider berichten Kolleg*innen aus der Praxis, dass die Bestimmungen aus dieser Richtlinie nicht greifen: Vertreter*innen der Beschäftigten erfahren häufig zu spät oder gar nicht von wichtigen Unternehmensentscheidungen, die die Belegschaft betreffen. – Aus diesem Grund haben der EVP-Koordinator Dennis Radtke und ich im Juli 2020 ein Schreiben an Kommissar Schmit initiiert, in dem wir die Kommission aufforderten, dafür zu sorgen, dass die bestehenden Rechtsvorschriften über die Beteiligung der Arbeitnehmer voll und ganz eingehalten werden, um sozial nachhaltige und faire Umstrukturierungsprozesse zu gewährleisten, die auf der Achtung der Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte beruhen. Das kann so nicht weitergehen, darum setze ich mich als Berichterstatterin für eine Rahmenrichtlinie für mehr Demokratie am Arbeitsplatz dafür ein, dass diese Richtlinie im nächsten Jahr überarbeitet wird – und zwar im Sinne der Arbeitnehmer*innen.

Berichte aus der Praxis

Politik muss nah an den Bedürfnissen aus der Praxis gemacht werden, deshalb habe ich am 26.11.2020 ein ein Webinar mit Gewerkschafter*innen und Betriebsrät*innen aus der ganzen EU in Kooperation mit dem Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) durchgeführt. Eine Sorge zog sich wie ein roter Faden durch die Berichte im Rahmen der Veranstaltung: Europaweit wird die Mitbestimmung aufgeweicht und bestehendes Recht nicht umgesetzt. „Demokratie am Arbeitsplatz ist ein Grundpfeiler unserer sozialen Marktwirtschaft.“, meinte Isabelle Schömann, Mitglied im Vorstand des EGB, zur Eröffnung. Fallstudien aus europäischen Unternehmen zeigen leider, dass dieser Pfeiler ins Wanken geraten ist.

Johan Botella, Vorsitzender des Europäischen Betriebsrates (EBR) der Coca Cola European Partners, Jean-Philippe Charpentier, Vorsitzender des Verizon EBRs und Jean-Luc Ruffin, Mitglied des Sonderausschusses des EBRs von Member ArcelorMittal berichteten von ihren Erfahrungen, insbesondere seit Beginn der Corona-Pandemie. Alle drei erzählten, dass sich ihre Unternehmen bereits mitten in großen Umstrukturierungsprozessen befinden. Ihre multinationalen Firmen umgehen dabei, die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten und die EBR-Vertreter*innen wurden häufig vor vollendete Tatsachen gestellt. Dabei war es ein großer Kampf, den EBR überhaupt zu gründen, wie Johan Botella berichtet: „Wir mussten erst eine Großdemo veranstalten, bevor wir nach drei Jahren eine akzeptable Einigung erreichten.“.

Und jetzt? Jean-Philippe Charpentier berichtet, dass der EBR bei Verizon zunächst mit seinen zwei großen Zielen gescheitert ist: mit der vollen Anerkennung als Sozialpartner und der Anhörung vor großen Unternehmensentscheidungen. Er nennt eine volle Deckung der Rechtskosten für den EBR und Sanktionen bei der Umgehung von Konsultationsprozessen als Lösungsvorschläge für diese Krise in der europäischen Mitbestimmung.

Eine bessere Welt mit Demokratie am Arbeitsplatz

Dabei bringt Mitbestimmung viele Vorteile mit sich – nicht nur für die Beschäftigten, sondern für die ganze Gesellschaft. Das zeigten Stan De Spiegelaere und Sigurt Vitols, die beide am European Trade Union Institute forschen und die Ergebnisse ihrer Arbeit mit dem Titel “A better world with more democracy at work” vorstellten. Ein hoher Grad von Mitbestimmung in einem Land korreliert mit:

– einer hohen Beschäftigungsrate,

– weniger Ungleichheit bei den Einkommen,

– eine fairere Verteilung der Gewinne zwischen Arbeit und Kapital,

– einer starken politischen Demokratie mit aktiven Bürger*innen,

– hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung,

– und armutsfesten Einkommen.

Mehr Informationen zu diesen Faktoren sowie ihrem Effekt über verschiedene Länder und Jahre hinweg findet ihr auf dieser Webseite des European Trade Union Institute: https://europeanparticipationindex.eu/.

Anschließend kamen Mitglieder des Europäischen Parlaments und Vertreter*innen der europäischen Branchendachverbände zu Wort. Der Tenor: Wir müssen mehr Respekt für Mitbestimmungsrechte einfordern, notfalls vor Gericht. Dafür muss einerseits der Rechtsrahmen auf europäischer Ebene verbessert werden und andererseits brauchen die europäischen Arbeitnehmer*innenvertretungen für den schlimmsten Fall mehr Mittel für die gerichtliche Umsetzung ihrer Rechte.

Die Pandemie ist keine Entschuldigung für die Umgehung von Mitbestimmungsrechten. Im Gegenteil: die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie können nur dann im Sinne aller überwunden werden, wenn wirklich Demokratie am Arbeitsplatz herrscht.

Dieses Webinar war nur der Beginn eines Austausches, den ich gemeinsam mit meinen europäischen Gewerkschaftskolleg*innen durchführen werde. Packen wir es an! Die gewerkschaftsübergreifende Petition könnt ihr hier unterschreiben: https://www.etuc.org/en/document/petition-more-democracy-work-must.

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