Fast genau 6 Monate vor der Europawahl findet diese Woche die letzte Plenarsitzung des Jahres 2023 in Straßburg statt. Die Agenda der Sitzungswoche zeigt: Im Parlament haben wir bis zur Wahl des nächsten Europaparlamentes im Juni 2024 noch viel vor!
Unter anderem diese Themen werden diese Woche im Plenum wichtig:
Verleihung des Sacharow-Preises an iranische Frauen
Am Dienstag wird im Plenum des Europäischen Parlaments der Sacharow Preis post mortem an die kurdische Iranerin Jina Mahsa Amini sowie die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ im Iran übergeben.
Jina Mahsa Amini starb im September 2022 an den Folgen körperlicher Misshandlung durch die iranischen Sicherheitskräfte während ihrer Haft. Ihr Tod löste im Iran massive Proteste von Frauen gegen die iranischen Gesetze zur Verschleierungspflicht und andere diskriminierende Regelungen aus.
Der Sacharow-Preis für geistige Freiheit wird seit 1988 jährlich an Personen und Organisationen verliehen, die sich für Menschenrechte und Grundfreiheiten einsetzen. Die Auszeichnung wurde nach dem sowjetischen Physiker und politischen Dissidenten Andrei Sacharow benannt.
Die Verleihung das Sacharow-Preises an iranische Frauen und an die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ ist ein wichtiges Zeichen für den weltweiten Kampf für mehr Gleichberechtigung!
Spitzenkandidat*innen-Prinzip zur EU-Wahl 2024 endlich umsetzen
Bei der vergangenen Plenarwoche hat das Parlament bereits über Reformvorschläge zur Änderung der EU-Verträge abgestimmt. Unter anderem forderte dort das Parlament, den oder die Kommissonspräsident*in zukünftig vorschlagen zu können.
Für die kommende EU-Wahl im Juni 2024 möchten wir uns für klare Regeln bei der Aufstellung der einzelnen Spitzenkandidat*innen der Europäischen Politischen Parteien sowie einen direkten Zusammenhang zwischen dem Ausgang der EU-Wahl und der Wahl der Präsidentschaft der EU-Kommission einsetzen. Um die Fehler im Nachgang der letzten Europawahl 2019 nicht zu wiederholen, wird im Initiativbericht gefordert, dass der/die Spitzenkandidat*in der europäischen politischen Partei mit den meisten Sitzen im Europäischen Parlament die parlamentsinternen Verhandlungen für eine/n gemeinsame/n Kandidatin*in führt. Darüber hinaus spricht sich der Bericht für einen gemeinsamen Wahltag in der gesamten EU sowie die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahren innerhalb der EU aus. In Deutschland sind bei der kommenden Europawahl erstmals auch Bürger*innen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben wahlberechtigt.
EU-Gipfel zu Ukraine- und Nahost-Krieg sowie EU-Finanzplanung
Diese Plenarwoche steht auch im Zeichen des kommenden EU-Gipfels der Regierungschef*innen der Mitgliedstaaten am 14. Und 15. Dezember. Im Fokus steht stehen die neuesten Entwicklungen im russischen Krieg gegen die Ukraine, die Unterstützung der EU für das Land und seine Bevölkerung, die Lage im Nahen Osten sowie der langfristige EU-Haushalt für die Jahre 2021-2027.
Die Aufgaben der EU wachsen; etwas bei der Transformation der Wirtschaft zur Klimaneutralität oder bei globalen Handelskonflikten. Bei der langfristigen Haushaltsplanung geht es um eine angemessene Ausstattung der EU, die dringend mehr Spielraum braucht, um handlungsfähig zu bleiben. Das Europaparlament schlägt deshalb vor, für die Jahre bis 2027 10 Milliarden Euro zusätzliche Mittel im EU-Haushalt bereitzustellen, auch z.B. zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit oder der Stärkung der sozialen Säule.
Update für Reisebusfahrer*innen – mehr Flexibilität für Pausen & Ruhezeiten in Sicht
Der Reisebusverkehr unterscheidet sich grundlegend vom öffentlichen Nahverkehr. Ungeplante und improvisierte Wünsche von Fahrgästen in Bezug auf zusätzliche Haltestellen, Routen- oder Fahrplanänderungen müssen berücksichtigt werden. Diese Flexibilität müssen aber vor allem die Fahrerinnen und Fahrer haben. Wegen der ungewöhnlichen Arbeitsbedingungen passiert es, dass Fahrer*innen wegen der Ruhezeiten im Hotel schlafen oder es nicht nach Hause schaffen. Deswegen sollen sie in solchen Fällen entscheiden können, wie sie die Ruhezeit nehmen.
Das Europäischen Parlament stimmt im Dezember in Straßburg über Änderungen bei den Lenk- und Ruhezeiten für Reisebusfahrer ab. Der Bericht unterstreicht die Bedeutung von Sicherheit und angemessenen Arbeitsbedingungen für die Fahrerinnen und Fahrer. Faire Mobilität muss in der EU für Alle gelten!
Reisebusfahrer erhalten mehr Möglichkeiten für Pausen und Ruhezeiten innerhalb ihres Lenkzeitfensters. Statt nur einer können dann auch zwei Pausen genommen werden. Außerdem sollen Fahrerinnen und Fahrer mehr Möglichkeiten haben, tägliche und wöchentliche Ruhezeiten zu verschieben. Diese Flexibilität ist wichtig, um auf unvorhergesehene Fahrgastwünsche und Routenänderungen reagieren zu können.
Um eine effiziente Durchsetzung dieser neuen Vorschriften zu gewährleisten, setzen sich die Abgeordneten für digitale Lösungen ein. Eine mehrsprachige Schnittstelle zum Hochladen digitaler Fahrtenblätter wird Papierformulare ersetzen, so dass die Informationen für Straßenkontrollen in Echtzeit leicht verfügbar sind und leichter zu kontrollieren sind.
Diese angepassten Vorschriften spiegeln die Besonderheit des gelegentlichen Personenverkehrs wider, indem sie ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Fahrer*innen, der Fahrgäste und den Sicherheitsstandards herstellen.
Rohstoff-Strategie – Abhängigkeit mindern, Recycling fördern
Für die europäische Energiewende sind Rohstoffe wie Lithium, Kobalt oder bestimmte Erze elementar. Teilweise importiert Europa diese Materialen fast vollständig. Weil außerdem der Bedarf durch die Transformation um das zigfache in die Höhe schießen wird, will die EU ihre Abhängigkeit reduzieren.
Dafür setzt die europäische Rohstoffstrategie (Critical Raw Materials Act) ambitionierte Ziele für den Abbau, die Weiterverarbeitung und das Recycling. Projekte für den Abbau auf europäischem Boden sollen höchste Priorität und finanzielle Unterstützung genießen. Dabei erwarten Menschen aus sozialdemokratischer Sicht zu Recht, dass dies unter vorbildlichen Arbeits- und Umweltbedingungen geschieht.
Das Gesetz wurde in Rekordzeit verhandelt. Im Vergleich zum Kommissions-Vorschlag gibt es Verbesserungen: So soll die Quote für das Recycling mindestens 25 Prozent des jährlichen Rohstoffverbrauchs der EU betragen (statt 15 Prozent), und das Gesetz soll auch die Verwertung von Rohstoffen steigern, die in Abfällen enthalten sind. Außerdem sollen auch solche Projekte unterstützt werden, die alternative Ersatz-Rohstoffe erforschen. All diese Verbesserungen waren auch Forderungen der S&D-Fraktion. Für Unternehmen soll es zudem klar zugewiesene Ansprechpartner geben, die für ein Projekt zuständig sind und als diese dafür sorgen, dass Projekte sich nicht im bürokratischen Dickicht verlieren. Außerdem wurde Aluminium auf die Liste der strategischen Rohstoffe aufgenommen, und nach der kürzlich verkündeten chinesischen Exportbeschränkung auch synthetischer Graphit.
Aufgrund des ungewöhnlich schnellen Verfahrens stimmt das Plenum bereits im Dezember über das Trilog-Ergebnis ab. Final beschlossen werden kann der Text allerdings erst nach der vollständigen Prüfung durch den sprachjuristischen Dienst – dies erfolgt planmäßig im Februar-Plenum in Form eines ‚Korrigendums‘.
Gesundheitsdaten in der EU – Versorgung verbessern, Patient*innen schützen
Der Europäische Gesundheitsdatenraum ist ein zentraler Baustein der europäischen Gesundheitsunion, die den Schutz für die menschliche Gesundheit auf EU-Ebene ebenso verbessern soll wie Prävention, Vorsorge und Reaktion auf Gefahren.
Der Gesetzes-Entwurf, von der EU-Kommission im Mai 2022 vorgeschlagen, zielt darauf ab, die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung für Patient*innen und Ärzt*innen zu erleichtern sowie Forschung und Innovation in der Europäischen Union zu fördern. Die S&D-Fraktion hat sich dafür eingesetzt, den Verordnungsentwurf um wichtige Kontrollmechanismen für Patient*innen zu ergänzen. So wurde in der Parlamentsposition durchgesetzt, dass alle Patient*innen hinsichtlich der Primärnutzung zu Behandlungszwecken und im Rahmen der Sekundärnutzung, etwa der Freigabe zu Forschungszwecken, ihrer Daten umfangreiche und differenzierte Kontroll- und Freigabemöglichkeiten erhalten, die von Transparenz-, Informations- und Zugangsrechten flankiert werden. Besonderes Augenmerk sollte aus Sicht der S&D-Fraktion in den Verhandlungen zudem darauf gelegt werden, das Widerspruchsrechts für Patient*innen zu stärken.
Bevor die Verhandlungen mit dem Rat beginnen können, müssen die Abgeordneten die Position des Parlaments im Plenum bestätigen.
Frühstücks-Richtlinien – mehr Verbraucherschutz am Tisch
Um unfairen Wettbewerb im EU-Binnenmarkt und Täuschung von Verbraucher*innen zu vermeiden, gibt es seit über zwanzig Jahren die sogenannten Frühstücks-Richtlinien, die für einige Produkte, die oft auf europäischen Frühstückstischen zu finden sind, Vorgaben zur Zusammensetzung, Verkaufsbezeichnung und Kennzeichnung liefern.
Im April 2023 hatte die EU-Kommission Änderungen für die Richtlinien für Honig, Fruchtsäfte, Marmeladen und Milchpulver vor. Die Änderungen sollen Verbraucher*innen in der EU direkt zugutekommen: sehr viel Honig wird derzeit aus China importiert, der nicht den europäischen Standards entspricht. Bisher reicht dafür eine Angabe aus wie „mit außereuropäischem Honig gemischt“. Wenn es nach dem Europäischen Parlament geht, muss ein Hersteller zukünftig genauer angeben, aus welchen Ländern sein Honig stammt und zu welchem Anteil. Marmelade darf künftig Marmelade heißen. Bisher war das Konfitüren aus Zitrusfrüchten vorbehalten. Außerdem soll der Minimal-Fruchtanteil in Marmeladen von 35 Prozent auf 45 Prozent steigen, und für Konfitüre extra von 45 Prozent auf 55 Prozent. Dadurch soll die Notwendigkeit für das Hinzufügen von Zucker verringert werden. Für Milchpulver soll ein Verfahren zur Herstellung von laktosefreies Milchpulver zugelassen werden. Laut EU-Recht ist es verboten, Fruchtsäften Zucker hinzuzufügen. Offen ist noch die Frage, ob Fruchtsäfte trotzdem mit dem Aufdruck „ohne zusätzlichen Zucker“ beworben werden dürfen. EU-Kommission und Konservative sind dafür. Die Sozialdemokrat*innen und Verbraucherorganisationen sehen das kritisch, da es den falschen Eindruck erwecken könnte, dass Fruchtsäfte, die oft sehr hohe Anteile an natürlichen und ebenfalls schädlichen Zuckern haben, per se eine gesunde Option seien.