Anlässe für den virtuellen Workshop zur Mitbestimmung in Europa des DGB in der vergangenen Woche gab es genug: Die EU-Kommission hat eine Konsultation zu nachhaltiger Unternehmensführung eröffnet und im Europäischen Parlament werden Initiativanträge sowohl zur betrieblichen als auch zur Unternehmensmitbestimmung vorbereitet. Dazu kommt eine stetig wachsende Welle von Restrukturierungen in Unternehmen, die Mitbestimmung am Arbeitsplatz enorm beeinflusst. Angefeuert wird diese Entwicklung durch die Covid-19-Pandemie – Auslöser unserer schwersten weltweiten Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg. Es war mir daher ein wichtiges Anliegen, mit ausgewiesenen Expert*innen aus Wissenschaft, Politik und Gewerkschaften über die aktuellen Entwicklungen und Perspektiven zu diskutieren.

Die Demokratie in Europa stärken

Als Impuls warf ich ein, die Diskussion unter folgender Berücksichtigung zu führen: Die EU steht vor einer großen Zukunftsdebatte, der Konferenz zur Zukunft Europas. Bei dieser Konferenz werden Bürger*innen die Möglichkeit haben, über zukunftsweisende Fragen zu diskutieren: Wie können bzw. müssen EU-Verträge geöffnet werden, damit die EU handlungsfähiger wird und Entscheidungen nicht nur über den Europäischen Rat, sondern über das Europäische Parlament getroffen werden? Deshalb müssen wir über den Tellerrand schauen und die Debatte nicht nur auf den Bereich Demokratie am Arbeitsplatz begrenzen. Wir müssen das Vertrauen in Demokratie über alle Bereiche des Lebens hinweg stärken. Die Konferenz zur Zukunft Europas kann Weichen stellen, wie wir künftig Transformationsprozesse sozial begleiten und Krisen bewältigen wollen.

Im Januar 2021 werde ich meinen Initiativbericht über Mitbestimmung im Europäischen Parlament abgeben. Drei Eckpfeiler waren in den in letzten zehn Jahren zur Stärkung der Mitbestimmung in europäischen Unternehmen ausschlaggebend: Information, Konsultation und Partizipation von Arbeitnehmer*innen.  Dort wo es bereits starke Mitbestimmung gibt, muss sie erhalten und weiter gestärkt werden. Die Wortmeldungen meiner Gesprächspartner*innen in unserem Workshop bestärkten mich in meiner Position.

Mitbestimmung als Weg aus der Krise

So stellte Hauptreferent Sebastian Sick Referatsleiter im IMU Institut der Hans-Böckler-Stiftung, klar: Mitbestimmung besteht aus einer Dialogkultur, die Sicherheit schafft und den Wandel ermöglicht. Forschung zeigt, dass Mitbestimmung eindeutig dazu beiträgt Krisen erfolgreich zu bewältigen. In EU-Mitgliedstaaten mit hohem Mitbestimmungsgrad in Unternehmen sei die Beschäftigungsquote nachhaltig höher. In 18 von 27 EU-Mitgliedstaaten haben sich Mitbestimmungsrechte in privaten und staatlichen Unternehmen etabliert.

Europäische Gesellschaften als Hindernisse für Arbeitnehmer*innenbeteiligung

Die Mitbestimmungsrechte in internationalen Unternehmen müssen laut Sick deutlich ausgeweitet werden. Europäische Betriebsräte verfügen bisher nur über Informations- und Konsultationsrechte, sie dürfen aber nicht mitbestimmen. Seit den 2000er Jahren besteht nach einem EuGH-Urteil für nationale Unternehmen die Möglichkeit, eine ausländische Rechtsform anzunehmen. Vor allem in Deutschland steigt die Anzahl an den sogenannten SE (Societas Europaea, Europäische Gesellschaft), was die Mitbestimmung schwächt. Sick hat daher folgende Anforderungen an den Gesetzgeber:

  1. Das Einfrieren von Mitbestimmungsrechten in den Europäischen Gesellschaften müsse gestoppt werden. Die Europäische Union biete die Chance über eine EU-Rahmenrichtlinie Lücken bei grenzüberschreitenden Fusionen, Spaltungen und Umwandlung zu schließen.  Die Schaffung von einheitlichen Mindeststandards innerhalb der EU sei dringend nötig, um die fortschreitende Erosion der Mitbestimmung aufzuhalten.
  2. Mit Sustainable Corporate Governance können Rechte des mitbestimmten Aufsichtsrats gesichert und gestärkt werden.
  3. Europäische Betriebsräte (EBR) und Betriebsräte Europäischer Gesellschaften (SE-BR) sollten Unterlassungs- bzw. Aussetzungsansprüche bei Maßnahmen bis zum Abschluss des Beteiligungsverfahrens erhalten.

Schwierigkeiten für Betriebsrät*innen während der Pandemie

Isabelle Schömann, Generalsekretärin des Europäischer Gewerkschaftsbunds, hat die Rolle von Arbeitnehmer*innen in der Corona-Pandemie untersucht. Wir müssen Arbeitnehmer*innen in der Pandemie vor Entlassung schützen und die die Rolle von Arbeiter*innenvertretung in Unternehmens stärken. Die Pandemie werde von den Unternehmen schamlos ausgenutzt, um Mitbestimmung zu umgehen. Es finden nur noch Onlinesitzungen abgehalten, bei denen kaum Übersetzungsmöglichkeiten für die Betriebsrät*innen angeboten, Entscheidungsprozesse werden verzögert und die Arbeiter*innenvertretung zu spät über Entscheidungsprozesse informiert und angehört.

Laut Thomas Fischer, Abteilungsleiter Grundsatzangelegenheiten und Gesellschaftspolitik, DGB-Bundesvorstand sei die Mobilisierung von Beschäftigten, die im Home-Office arbeiten, schwieriger. Wie stabil unsere Demokratie sei zeichne sich derzeit in der Corona-Krise ab. Fest stehe, die Betriebsräte dürfen kein Freiwild werden und müssen ausreichend geschützt werden. Im Gesetzesentwurf zum Mobilen Arbeiten, den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vorgelegt hat, sei ausgerechnet der Vorschlag für ein verbindliches Mitbestimmungsrecht verschwunden. Die stetig wachsende Anzahl von international agierenden Betrieben bringe neue Arbeitsbedingungen mit sich und macht europäischen Betriebsräte wichtiger denn je. Auch Fischer spricht sich für schärfere Sanktionen bei Nichteinhaltung von Mitbestimmungsrechten aus. Zudem solle das Doppelgewicht der Unternehmerspitze bei betriebsinternen Entscheidungen abgeschafft und stattdessen ein Schlichtungsverfahren eingeführt werden.

Europäische Schritte für mehr Demokratie am Arbeitsplatz

Um dem Entgegenzuwirken haben Dennis Radtke, MdEP (CDU) und ich einen Brief an Kommissar Nicolas Schmit geschrieben mit der Bitte, die EU möge die Mitbestimmung in den Mitgliedsstaaten sicherstellen. Sozialpolitisch, findet Radtke, bringe das Jahr 2021 eine Menge Musik mit: Im EP sei zum Thema Mitbestimmung mit Einbeziehung der Sozialpartner eine große Anhörung geplant. Anfang des Jahres erfolgen sein Bericht zu den Europäischen Betriebsräten sowie mein Initiativbericht über Demokratie am Arbeitsplatz. Das EP werde über den Entwurf der Europäischen Kommission über die EU-Rahmenrichtlinie zum Thema Mindestlöhne abstimmen. Des Weiteren ist ein Sozialgipfel in Porto geplant. Die bisherigen Sanktionen – Bußgelder an Unternehmen – bei nicht Einhaltung von Mitbestimmungsregeln, bezeichnete Radtke als lächerlich.

Abschließend fasst Norbert Kluge, Mitglied der Arbeitnehmergruppe im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), zusammen: Ohne die Stimme von Arbeitnehmer*innen kann die EU-Rahmenrichtlinie zur Mitbestimmung nicht gestaltet und anschließend umgesetzt werden. Die Einbindung der Sozialpartner in die Prozesse sei von Anfang an unerlässlich. Dem kann ich mich nur anschließen. Es gibt viel zu tun, um die Mitbestimmung in Europa krisenfest zu machen – packen wir es an!

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