Online-Diskussion: „Für ein Europa der Arbeitnehmer*innen – mit fairen Löhnen, guter Tarifbindung und starker Mitbestimmung.“

24.11.2020 | Sozialpolitik, Veranstaltung

„Für ein Europa der Arbeitnehmer*innen“

Bundestagswahlen, Corona-Pandemie und der erste Aufschlag der EU-Kommission für eine europäische Mindestlohnrichtlinie gaben genug Anlass sich unter dem Motto „Für ein Europa der Arbeitnehmer*innen“ mit der AfA Berlin zusammenzusetzen. Gemeinsam mit Rolf Wiegand, (Landesvorsitzender AfA Berlin) und Viktoria Jeske, (stellv. Landesvorsitzende AfA Berlin) und dem Publikum sprachen wir über Tarifbindung, Mindestlöhne und Demokratie am Arbeitsplatz.

Was tut Europa für Arbeitnehmer*innen?

Welche Rolle die Europäische Union bei diesen Themen spielt und warum das so relevant auch für Arbeitnehmer*innen in Deutschland ist, durfte ich zu Beginn der Veranstaltung kurz beantworten. Eine Menge von Regeln bezüglich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes oder der Arbeitszeit stammen aus Europäischer Feder. Das ist vielen Menschen gar nicht bewusst. Und auch für die Herausforderungen (Corona, Klimawandel, Digitalisierung) vor denen wir alle stehen, arbeiten wir im Europaparlament an Lösungen. Dabei stehen für mich armutsfeste Mindestlöhne, mehr Demokratie am Arbeitsplatz, ein Mindesteinkommen und die Stärkung der Tarifpolitik im Mittelpunkt. 10 % der Europäer*innen ist von Armut betroffen, obwohl sie arbeiten. Das müssen wir ändern. Der Vorschlag der Kommission für eine EU-Mindestlohnrichtlinie ist ein erster Schritt in die richtige Richtung und ist der dringend benötigte Paradigmenwechsel. Umso schwieriger wird der politische Prozess. Ziel sollte es aber unbedingt sein, die Höhe des armutsfesten Mindestlohns als 60 Prozent des Medianlohns im jeweiligen Land festzulegen. Das würde endlich eine definitorische Sicherheit geben und die Debatte um gerechte Mindestlöhne, auch in Deutschland, nachhaltig verändern. Rolf Wiegand stellte an dieser Stelle klar, dass Deutschland in diesem Thema weit hinter den Erwartungen zurückliegt, der Mindestlohn ist zu niedrig. Auch sollte die Idee, dass in Ländern mit einer Tarifbindungsquote von unter 70% nationale Aktionspläne verabschiedet werden müssen, um die Quote zu erhöhen, nicht verworfen werden.

Schwerpunkte der AfA Berlin

Inhalte für diesen Aktionsplan lieferte uns Viktoria Jeske umgehend. In Vorbereitung auf die Bundestagswahlen im nächsten Jahr, hat die AfA Berlin ihre Schwerpunkte gesetzt. Dabei steht die Tarifbindung mit an vorderster Stelle. Zum Beispiel sollte die Vergabe von Fördermitteln und von öffentlichen Aufträgen an Tarifbindung geknüpft sein. Auch das ist Teil des Kommissionsvorschlags, sollte aber, das fanden wir alle drei, mehr in den Mittelpunkt rücken. Ein wichtiges Anliegen war Viktoria zudem das Thema Transformation. „Wir müssen auch Beschäftigungsformen mitdenken, die wir vorher nicht mitgedacht haben. Wie können wir arbeitnehmer*innennähnliche Personen auch schützen?“

„Wir müssen das Werktor neu definieren!“

Die Umgestaltung der Arbeitsprozesse und neue Arbeitsformen beschäftigten auch Rolf Wiegand. Er betonte, welche Herausforderungen bestehen, wenn die Menschen nicht mehr an einem Arbeitsort zusammenkommen, sondern online arbeiten. „Es hieß immer „Demokratie darf nicht am Werktor enden“. Das Werktor müssen wir aber neu definieren. Wie binden wir online arbeitende Menschen und neue Formen der Arbeit ein?“ Hierzu braucht es neue Kommunikationsformen und neue Strategien, auch auf europäischer Ebene. Der im Raum stehende Aktionsplan, kann genau hier ansetzen. Einen wichtigen Stein brachte Rolf Wiegand darüber hinaus mit dem Thema Privatisierung und Verkauf öffentlicher Güter ins Rollen. Ein Thema, welches ebenso unser Publikum bewegte. Durch den Wachstums- und Stabilitätspakt und den darin vorgesehenen Defizit- und Schuldenquoten geriet die öffentliche Daseinsvorsorge in vielen EU-Ländern unter Druck oder wurde privatisiert. Die Ausweichklausel machte es in der Pandemie möglich, diese Vorgaben vorübergehend außer Kraft zu setzen. Sollte der Pakt nach der Pandemie zu früh wieder greifen, wären aufgrund des massiven Wirtschaftseinbruchs Austeritätspolitik und Privatisierungsdruck erneut die Folge. Dies muss politisch abgewendet werden, daran arbeiten wir als S&D-Fraktion im Parlament.

Die Pandemie kann eine Chance sein

Wir waren uns einig, dass die Pandemie eine Chance sein kann Europa sozialer und gerechter zu machen. Diese Chance müssen wir nutzen. Neben der Mindestlohnrichtlinie sollten wir des Weiteren über ein Mindesteinkommen diskutieren – nur so können wir gleiche Lebensbedingungen in Europa schaffen. Es kann nicht angehen, dass wir mitten in Europa Armutswanderung erleben.

Die AfA wird im nächsten Jahr stark für Arbeitnehmer*inneninteressen einstehen und ihre Themen in den Wahlkampf einbringen.

Ich persönlich werde im nächsten Jahr federführend einen Initiativbericht zur Mitbestimmung am Arbeitsplatz erstellen und möchte an dieser Stelle auf die Aktion „Democracy at Work“ des Europäischen Gewerkschaftsbunds, die im nächsten Jahr startet, verweisen.

Vielen Dank für das spannende Gespräch. Wir hätten sicher nochmal 1,5 Stunden sprechen können.

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