Die Vorfreude steigt, denn der Frühling rückt näher und damit auch der kulinarische Genuss von Erdbeeren und Spargel. Diese landwirtschaftlichen Produkte sind nicht nur sehr lecker, sondern auch empfindlich und müssen deshalb von Fachkräften per Hand geerntet werden. Deshalb kommen jährlich tausende Menschen aus anderen EU-Mitglieds- oder Drittstaaten als Saisonarbeitskräfte zur Erntezeit nach Deutschland. Obwohl die Landwirtschaft auf diese mobilen Arbeiter*innen angewiesen ist, erfahren sie hier häufig schlechte Arbeits- und Unterbringungsbedingungen. Schuften im Akkord, Beschäftigung ohne Sozialversicherungsansprüche zu erwerben und Verstöße gegen den Arbeits- und Gesundheitsschutz sind an der Tagesordnung. Die Corona-Pandemie verschärft diese Situation.
Genau wie in der Fleischindustrie im vergangenen Jahr, muss die Politik auch hier für faire Arbeitskräftemobilität sorgen. Doch wie erreichen wir dieses Ziel? Mit diesen und weiteren Fragen habe ich mich im Rahmen einer Themenwoche zu fairer Mobilität und am 30. März 2021 in einer Diskussionsrunde mit dem Titel „Erdbeeren und Spargel mit gutem Gewissen kaufen: Wie erreichen wir endlich gute Arbeitsbedingungen für Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft?“ auseinandergesetzt.
Die Europabeauftragte der SPD Brandenburg Maja Wallstein, sowie Johannes Funke, Sprecher für Agrarpolitik der SPD Brandenburg und Geschäftsführer des Kreisbauernverbands Havelland e. V. gaben uns einen Einblick in die Herausforderungen der Landwirtschaftsbetriebe in Brandenburg. Arnd Spahn, Politischer Sekretär für die Landwirtschaft von EFFAT (European Federation of Food, Agriculture and Tourism Trade Unions) verschaffte uns einen Überblick über die soziale Sicherheit der Landarbeiter*innen in Deutschland wie auch anderen EU-Mitgliedsstaaten. Anschließend fassten Fritz Heil, aus dem Bundesvorstand der IG BAU, sowie Philipp Schwertmann, von der Fachstelle Migration und Gute Arbeit Brandenburg ihre Forderungen an die Politik zusammen.
Saisonarbeit – eine wichtige Einkommensquelle für viele EU-Bürger*innen
Den Anfang machte Arndt Spahn, mit einem kurzen Überblick über die aktuelle Situation für Saisonarbeitskräfte. Von den etwa vier Millionen grenzüberschreitend tätigen Saisonarbeiter*innen arbeiten knapp 300.000 in Deutschland. Der Großteil von ihnen sichert durch die Saisonarbeit in wenigen Wochen das finanzielle Auskommen für das gesamte Jahr. Arndt Spahn bemängelte vor allem den mangelnden Sozialschutz und die Unterkünfte in Deutschland.
Der Austausch mit Gewerkschaften und Medien muss gefördert werden.
Anschließend stellte Maja Wallstein die Relevanz und die Herausforderungen des landwirtschaftlichen Sektors in Brandenburg dar. Die Betriebe stünden unter hohem Druck gute und faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, da der Mangel an Saisonarbeitskräfte jährlich spürbarer werde. Sieunterstrich, dass der Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe in Brandenburg aufgrund des ständigen Austauschs mit den zuständigen Behörden und Ministerien, sowie Gewerkschaften und Medien, gute Arbeit leiste. Allerdings sehe sie kritisch, dass Saisonarbeitende durch die sogenannte 70-Tage-Regel, also die kurzfristige Beschäftigung in Deutschland, nichtsozialversichert sind.
Ich verdeutlichte: „Es kann nicht sein, dass jemand jahrelang immer für 70 Tage im Jahr in Deutschland arbeitet und dann feststellt, keinerlei Rentenansprüche oder Absicherung im Krankheitsfall zu haben. Wir brauchen hierfür eine europäische Lösung!“.
Der Zwei-Klassen-Arbeitsmarkt
Fritz Heil ging auf die Vorbereitungen der Bundesregierung für die kommende Erntesaison ein. Es dürfe nicht akzeptiert werden, dass es auf Bundesebene darüber diskutiert werde, die sozialversicherungsfreie Beschäftigungszeit von 70 auf 115 Tagen zu verlängern. Stattdessen müsse der Sozialschutz auf alle Beschäftigten erweitert werden. Trotz des europaweiten Wettbewerbs in der Landwirtschaft, dürfe es keine gegenseitige Unterbietung der Standards geben. Auf EU-Ebene müssten Standards gesetzt werden, die anschließend in den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden.
Probleme in der Saisonarbeit gab es bereits vor der Corona-Pandemie.
Phillip Schwertmann schilderte uns von Erfahrungen aus seinem beruflichen Alltag in der arbeitsrechtlichen Beratung von Saisonarbeiter*innen, u. a. durch Aufklärungsarbeit auf den Feldern. Verstöße gegen das Arbeitsrecht und mangelnde Gesundheits- und Hygienestandards wären bereits vor der Pandemie ein Problem gewesen. Jedes Jahr gebe es Medienberichte über Missstände in der Saisonarbeit, aber nichts ändere sich.
Wir brauchen einen fairen Rahmen für Saisonarbeit in ganz Europa.
Abschließend stellte ich klar, dass jeder Betrieb, der öffentliche Gelder (z. B. im Rahmen der Gemeinsame Agrarpolitik der EU) erhält, sicherstellen müsse, dass faire Arbeitsbedingungen garantiert und Standards eingehalten werden. Wenn sich Betriebe nicht an geltende Standards halten, brauchen wir einen monetären Hebel in Form von Sanktionen. Der europäische Traum bedeutet, dass EU-Bürger*innen überall unter fairen Arbeitsbedingungen arbeiten können und Betriebe im Umkehrschluss Arbeitskräfte in ganz Europa finden können, solange sie faire Arbeitsbedingungen garantieren. Die ganze Diskussion könnt ihr euch hier ansehen. Auf Instagram findet ihr außerdem eine kurze Übersicht zum Thema Saisonarbeit.