Die Europäische Union steht im Angesicht der Corona-Krise vor der größten Herausforderung seit ihrer Gründung. Über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen sprach ich gestern im Rahmen eines öffentlichen Online-Panels mit Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK in der Hans Böckler Stiftung und Michael Braun, taz-Korrespondent in Rom.

Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Frage, wie die EU gestärkt aus der Krise hervorgehen kann und welche Maßnahmen der Situation und ihren Auswirkungen angemessen gerecht werden.

Wirtschaftseinbruch um bis zu 10%

Sebastian Dullien und das IMK prognostizieren einen Einbruch der europäischen Wirtschaft von 5-10% für das Jahr 2020, wobei manche Länder, allen voran Italien, stärker getroffen werden, als andere. Michael Braun verdeutlichte dies und machte darauf aufmerksam, dass Italien nicht nur wirtschaftlich im hohen Maße betroffen ist, sondern auch die gesundheitlichen Folgen der Pandemie am stärksten spürt.

Viele Europäer*innen sind in Kurzarbeit, arbeitslos oder blicken pessimistisch in die Zukunft. Diese Situation mindert den Konsum, wodurch die europäische Wirtschaft weiter leidet. Um diesem Trend entgegenzuwirken, braucht es umfangreiche Konjunkturprogramme, doch nicht alle Mitgliedsstaaten haben die finanziellen Spielräume, um diese Pakete zu schnüren. 

Solidarische Finanzierung

Um die Mitgliedsstaaten mit den nötigen Mitteln auszustatten, sind, da waren wir uns einig, Recovery-Bonds die effektivste und solidarischste Lösung. Die bisher beschlossenen Maßnahmen haben alle gemein, dass die Hilfen nur in Form von Krediten vergeben werden. Diese belasten jedoch die Bilanzen der Länder zusätzlich und können, im Worst-Case Szenario, zu Staatsschuldenkrisen führen. Recovery-Bonds hingegen wären keine Kredite, „sie wären eine Art Versicherung, ein Auffangnetz für den Europäischen Binnenmarkt“, sagte Sebastian Dullien.

Auf die Frage eines Zuschauers, ob die Argumente einiger Kritiker, dass der Aufbau eines solchen Instruments zu lange brauchen würde und dass Italien die Schulden nicht zurückzahlen würde, haltlos sind, entgegnete Sebastian Dullien: „Die EU-Kommission hat bereits ähnliche Anleihen emittiert und dafür nicht mehrere Jahre gebraucht. Es geht ja nicht darum, eine neue Institution zu schaffen, sondern bestehende zu nutzen. Der Prozess des Emittierens dürfte nur wenige Wochen dauern“. Dazu ergänzte Michael Braun: , „Italien zahlt  seine Schulden immer zurück. Das Bild Italiens ist oft verzerrt, es wird vergessen, dass Italien die 2. größte Industrienation der EU ist.“

Zwar konnten sich die Staats- und Regierungschefs der EU am vergangenen Donnerstag nicht auf eine gemeinsame Schlussfolgerung verständigen, doch die Engigkeit darüber, dass ein Recovery-Fund nötig ist, sendete trotz allem erste positive Signale in die Mitgliedsstaaten. Darüber hinaus stimmte uns auch das Umdenken vieler Ökonom*innen sowie Politiker*innen bezüglich Recovery-Bonds zuversichtlich, dass es eine Europäische Lösung geben kann und wird.

Wünsche für Europa

Abschließend konnten meine Gäste drei Wünsche äußern, was Europa in den nächsten 12 Wochen tun sollte. Sebastian Dullien stellt daraufhin drei recht konkrete Maßnahmen vor, die die EU angehen sollte:

  1. Corona- oder Recovery-Bonds im Umfang von 1.000 Mrd. €
  2. Ein echtes Recovery-Programm – Ausbau von transnationalen Netzwerken in Verkehr und Klima
  3. Gemeinsame Besteuerung von Unternehmensgewinnen und CO2-Grenzbesteuerung auf Importe

Diesen und Michael Brauns Wunsch, dass „Europa begreift, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist einen großen Schritt nach vorne zu tun und das gegenseitige Misstrauen beizulegen“, möchte ich mich anschließen. Vielen Dank, für das spannende Gespräch.

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