Die öffentliche Auftragsvergabe in der EU bietet enorme Chancen – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich. Damit diese besser genutzt werden, setze ich mich im EU-Parlament für eine sozial gerechtere Reform des EU-Vergaberechts ein.
Im Artikel „Vergaberechtsreform: Tauziehen um Sozialklausel“ von Alina Leimbach wurde ich von Table.Europe zu meiner Position zitiert:
Die EU hat ambitionierte soziale Ziele. Das Vergaberecht wäre aus Sicht von Gewerkschaftern ein wichtiger Hebel, diese zu erreichen. Doch eine Reform ist kompliziert.
Die EU-Kommission und das EU-Parlament laufen sich aktuell für die Reform des Vergaberechts warm. In der öffentlichen Debatten spielen dabei die Überlegungen, wie grüne Leitmärkte oder innovative europäische Industrien gestärkt werden können, die tragende Rolle. Doch Gewerkschaften, Sozialpolitiker und manche Unternehmen drängen darauf, dass auch soziale Aspekte bei der Reform berücksichtigt werden.
Beobachter erwarten, dass die Kommission ihren Gesetzesentwurf im kommenden Jahr vorlegen wird – mit oder ohne Sozialfokus. Der Binnenmarktausschuss (IMCO) des Europaparlaments hat bereits einen Initiativbericht zum Thema erarbeitet, als Nächstes wird über die Änderungsanträge beraten. Zum Thema Soziales findet sich darin bisher wenig. Der beratende Beschäftigungsausschuss (EMPL) will mit seiner Stellungnahme diese Leerstelle füllen.
Schon jetzt können in der öffentlichen Vergabe soziale oder ökologische Kriterien wie Tariftreue berücksichtigt werden. Das Ziel: Einen Preiskampf nach unten, etwa zulasten von Löhnen und Arbeitsbedingungen zu verhindern. Jenes Prinzip des „Most Economically Advantageous Tender“ in der öffentlichen Vergabe zu stärken, war bereits Ziel der vergangenen Vergaberechtsreform auf EU-Ebene. Dadurch können in öffentlichen Ausschreibungen Zusatzpunkte vergeben werden, etwa, wenn ein Unternehmen nach Tarif zahlt. Auch ökologische Gesichtspunkte können in Ausschreibungen verlangt werden.
Das habe bisher nicht gut funktioniert, kritisiert Alexander Frank, stellvertretender Generaldirektor beim Arbeitgeberverband Coess, dem europäischen Dachverband der Sicherheitswirtschaft. „Wir sehen immer wieder Ausschreibungen, in denen es alleine um den günstigsten Preis geht“, sagte er Table.Briefings. „Ich höre aus ganz Europa immer wieder von Unternehmen, die faire Löhne zahlen und in Aus- und Weiterbildung ihrer Beschäftigten investieren und die sagen: Bei solchen Ausschreibungen bewerbe ich mich erst gar nicht.“
Zwei Drittel aller öffentlichen Aufträge in der EU werden alleine nach dem Preis vergeben. Das zeigt das Single-Market-Scoreboard. „Es ist ein Wettbewerbsnachteil für die, die mehr in ihr Personal investieren“, sagt Frank. Es geht um potenziell sehr viel Geld: Aufträge der öffentlichen Hand, etwa zum Straßenbau, zur Reinigung von Kitas, Schulen oder eben im Sicherheitsgewerbe machen laut EU-Kommission rund 14 Prozent des BIP der EU aus.
Soziale Kriterien in Ausschreiben sind keine Wettbewerbsverzerrung. Das klarzustellen, ist aus Sicht des Arbeitgeberverbands Coess und der Dienstleistungsgewerkschaft UNI Europa eine der wichtigsten Maßnahmen bei der nun anstehenden Reform des EU-Vergaberechts. Denn immer wieder wurden öffentliche Auftraggeber, die zusätzliche Bewertungsmaßstäbe wie etwa Tariftreue in ihren Ausschreibungen formulierten, vor Gericht gebracht.
„In der Vergangenheit wurde bereits klargestellt, dass Tarifverträge an sich keine Wettbewerbsverzerrung sind“, sagt Stan De Spiegelaere von UNI Europa. So etwas brauche es nun auch explizit im Vergaberecht. Technisch ausgedrückt ist dann die Rede von einer Klarstellung, dass etwa gute Arbeitsbedingungen in einer Ausschreibung einen Gegenstandsbezug zur Sache haben. „Es liegt ja auf der Hand: Wer eine Dienstleistung einkauft, kauft auch die Arbeitsleistung mit ein, die für die Dienstleistung nötig ist“, sagt der Gewerkschafter.
Ein Fallbeispiel: die Klage gegen die maltesische Beschaffungsagentur. In Malta hatte die staatliche Beschaffungsagentur bei der Vergabe eines Reinigungsauftrags für Bildungseinrichtungen einen Extrapunkt für Unternehmen vergeben, die nach Tarif zahlen. Ein nicht-tarifgebundenes Unternehmen sah sich davon diskriminiert und reichte Klage ein. „Viele Verwaltungen lassen dann lieber gleich die Finger davon“, sagt De Spiegelaere.
Gewerkschaften wie Arbeitgeber fordern zudem ein deutlich höheres Gewicht von qualitativen Gesichtspunkten in der Auftragsvergabe. „Wir wollen, dass 60 Prozent der Kriterien in öffentlichen Ausschreibungen verpflichtend qualitativer Natur sind“, sagt Frank. Sprich: Der Preis als Kriterium soll von einer gewissen Zahl ökologischer, innovativer oder sozialer Anforderungen begleitet werden.
„Öffentliche Gelder dürfen Ausbeutung und Lohndumping nicht unterstützen“, betont die SPD-Politikerin Gaby Bischoff. Für die S&D-Fraktion begleitet sie die Reform als Schattenberichterstatterin im Beschäftigungsausschuss. Sie plädiert bei der Reform des Vergaberechts auf die Berücksichtigung verbindliche Umwelt- und Sozialkriterien. Zudem will sie Regeln für Subunternehmerketten. Und: Unternehmen sollten nach ihrer Vorstellung künftig durch EU-Recht von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden, wenn sie zuvor grundlegende Rechte von Beschäftigten missachtet haben.
Eine Reform mit gestärkten Sozialklauseln steht aber vor zahlreichen Hürden. Da wäre der offensichtliche Zielkonflikt: Denn wenn künftig verpflichtend nicht mehr alleine auf den niedrigsten Preis geachtet werden soll, würden die Ausgaben der öffentlichen Verwaltung steigen. Zum anderen gibt es wettbewerbsrechtliche Bedenken. So könnten die Qualitätskriterien missbraucht werden, um bestimmte Lieferanten zu bevorzugen, warmen Marie-Sophie Lappe und Francesco Nicoli vom Thinktank Bruegel.
Aber vor allem: Wie passt das Vorhaben zur Wettbewerbsfähigkeitsagenda? Zusätzliche Anforderungen im Sozial- und Umweltbereich stehen für viele im Widerspruch zur Entbürokratisierung. Unternehmen sehen meist keinen Bedarf an zusätzlichen Regeln für öffentliche Ausschreibungen, auch öffentliche Arbeitgeber scheinen in der Frage gespalten. In den politischen Leitlinien Ursula von der Leyens wurden Sozialaspekte im Kapitel zur Vergaberechtsreform nicht erwähnt.
Eine Reform mit mehr Sozialkriterien könnte aber den Wettbewerb verbessern. „Es geht hier um fairen Wettbewerb, der gestärkt werden soll“, argumentiert zumindest Frank vom Sicherheitsdienstleisterverband Coess. Bisher ist er damit eine Ausnahme auf Unternehmensseite.
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