Zukunftsinvestitionen statt Austerität

16.11.2021 | Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik

Auf die Frage hin, für welche Partei ich arbeite, gratulierte mir der griechische Taxifahrer herzlich. Und er war nicht alleine – jede Person, die ich während meines Aufenthalts in Athen getroffen habe, war sehr genau über die Ergebnisse der Bundestagswahl informiert. Olaf Scholz als Bundeskanzler Deutschlands: das weckt bei vielen die Hoffnung auf einen sozialen Aufschwung in Europa. 

Vom 1. bis zum 3. Oktober war ich in Athen auf den Spuren der Austeritätspolitik unterwegs. In Deutschland und Europe wird darüber diskutiert, ob der Stabilitäts- und Wachstumspakt weiterhin ausgesetzt werden soll, um eine wirtschaftliche Erholung und Zukunftsinvestitionen in den EU-Staaten zu ermöglichen. Mir war es deshalb sehr wichtig, mit vor Ort ein Bild davon zu machen, welche Folgen die Austeritätspolitik in Griechenland hinterlassen hat. 

Die Folgen der Austeritätspolitik sind nach wie vor spürbar

Bei meinen Gesprächen in Athen wurde mir berichtet, dass die Wirtschafts- und Schuldenkrise das Land weiter in Atem hält. Denn statt der erwarteten Stabilisierung brachte das Jahr 2020 mit der Corona-Pandemie einen weiteren Schock für die griechische Wirtschaft.

Im Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung schilderte Wirtschafts- und Finanzexperte Dr. Jens Bastian, wo die Folgen der Austeritätspolitik besonders spürbar sind. Die Corona-Pandemie hat beispielsweise gezeigt, welche fatale Wirkung ein radikaler Sparkurs im Gesundheitssektor hat. Auch die verheerenden Waldbrände diesen Sommer waren Ausdruck der Unterfinanzierung der griechischen Forstverwaltung.

Wandel in Sicht auf dem griechischen Arbeitsmarkt?

Zusätzlich bleibt der griechische Arbeitsmarkt angespannt. Die Arbeitslosigkeit in Griechenland ist mit 15,8 % zwar auf dem niedrigsten Stand seit 2011, aber der griechische Arbeitsmarkt ist durch befristete Verträge und Teilzeitarbeit geprägt. Zusätzlich liegt der Mindestlohn bei gerade einmal 650 € monatlich, was nicht im Einklang mit den Mietpreisen und Lebenshaltungskosten in Athen steht. Hinzu kommt, dass die steigenden Energiepreise auch in Griechenland rasant steigen.

Ist Veränderung in Sicht? Jens Bastian erzählte mir von einer Welle der Empörung, die durch die sozialen Medien in Griechenland geschwappt ist, als ein Plattformunternehmen seine Lieferant*innen zu Unrecht als selbstständig einstufen wollte. Bastian hofft, dass dieses Mobilisierungspotential ausgeschöpft wird und es zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Griechenland kommt. Denn gerade viele junge Griech*innen sehen aktuell keine andere Möglichkeit, als in anderen EU-Staaten nach einer angemessen entlohnten Arbeit zu suchen. 

Der deutsch-griechische Austausch lebt

Vor diesem Hintergrund ist es ein großer Erfolg, dass es mittlerweile wieder deutsch-griechische Kooperationen in der Wirtschaft und Politik gibt. Ich habe mich deshalb sehr gefreut, mich im Anschluss an das Gespräch bei der FES im griechischen Parlament mit Kolleg*innen der sozialdemokratischen Partei KINAL austauschen zu können. Von dort aus ging es weiter zum griechischen Gewerkschaftsbund, wo ich viele Kolleg*innen wiedersehen konnte, die ich aus meiner Gewerkschaftszeit gut kenne. 

Was darf nach so einem langen Tag voller Gespräche und Informationen nicht fehlen? Richtig: leckeres griechisches Essen in guter Gesellschaft. Dafür war gesorgt, da die Friedrich-Ebert-Stiftung für den Abend ein Treffen mit Aktivist*innen der PES Women organisiert hatte. Ich haben viel über die Anliegen der griechischen Frauen erfahren. Dabei konnten wir traurige Gemeinsamkeiten feststellen, wie beispielsweise den Rückschritt bei der Verteilung der Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern während der Pandemie, oder den Anstieg von häuslicher Gewalt. 

Voller Eindrücke und Inspirationen bin ich zurück nach Straßburg gereist, wo die Plenarwoche bevorstand. Für mich ist klar, wie wichtig solche Reisen für Europapolitiker*innen sind. Es ist nicht zielführend über Richtlinien oder Verordnungen in der Straßburg- oder Brüssel-Blase zu verhandeln, obwohl alle Europäer*innen in den unterschiedlichsten kulturellen Kontexten davon betreffen sind.

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