Bosnien und Herzegowina ist ein Land mit 3,5 Mio. Einwohnern an der Außengrenze zur EU, das bereits 2016 einen EU-Beitrittsantrag gestellt hat. Seit längerem stranden dort Geflüchtete, die versuchen in die EU zu gelangen. Sie leben entweder in Lagern oder außerhalb der Lager in Ruinen oder Zelten. Die Regierung Bosnien und Herzegowinas ist für die etwa 8.000 Geflüchteten und Migrant*innen zuständig, hat jedoch von der EU seit 2018 bereits über 89 Millionen Euro an Hilfsgeldern zur Versorgung der Menschen in den Camps an der EU-Außengrenze erhalten.
„Unhaltbare Zustände als Abschreckung?“
Über die unhaltbaren Zustände in Bosnien und Herzegowina gibt es viele Zeitungsberichte. Im April 2020 wurde unweit der westbosnischen Stadt Bihać an der kroatischen EU-Außengrenze das Camp Lipa mit Platz für Tausend Menschen eröffent. Nachdem das Camp im Dezember 2020 abgebrannt ist, hat die EU weitere 3,5 Millionen Euro für die Schaffung winterfester Quartiere bereitgestellt. Doch Geld alleine scheint die kritische Situation für die Menschen, die nach Europa einreisen wollen, nicht zu verbessern. Viele Geflüchtete sind weiter ohne anständiges Obdach, eine Unterbringung in einer früheren Kaserne wurde von Einheimischen verhindert.
„Wie kann die EU schnell und nachhaltig helfen? Wie kann die EU dafür Sorge tragen, dass den Menschen geholfen wird?“: Mit diesen Fragen habe ich mich am 27. Januar 2021 gemeinsam mit Dietmar Köster, dem Berichterstatter für Bosnien und Herzegowina im Menschenrechtsausschuss der EU, und Friedrich Ernst, einem freiwilligen Helfer in mehreren Camps bei Bihać, in einem Webinar beschäftigt. Im Anschluss haben Rosilin Bock, die Vorsitzende des FA Internationales der Berliner SPD, und Timo Schramm, der Vorsitzende der AG Migration und Vielfalt der Neuköllner SPD die Beiträge kommentiert.
„Die Situation in Bosnien ist ein Desaster“
Sowohl Fritz Ernst als auch Dietmar Köster, die in engem Austausch mit vor Ort agierenden NGOs stehen, können von der schrecklichen und menschenunwürdigen Situation in Bihać berichten. Die beiden schildern das Leid vieler Menschen, insbesondere auch illegale Push-Backs unter Beteiligung der EU-Grenzschutzagentur Frontex. „Für die Geflüchteten an der Außengrenze gilt das individuelle Grundrecht auf Asyl einfach nicht. Sie werden mit brutaler Polizeigewalt zurückgedrängt. Ich habe Menschen gesehen, die in Ruinen hausen, wo sie sich mit offenen Feuern wärmen.“, berichtet Dietmar Köster. Auch in diesem Winter müssen Geflüchtete ohne Schutz um ihr Leben kämpfen, denn trotz der finanziellen Unterstützung der EU zur Einrichtung angemessener Unterkünfte ist eine Besserung nicht in Sicht. Die neuen Militärzelte verfügen nicht über menschenwürdige Sanitäranlagen, stehen regelmäßig unter Wasser und haben keine Heizung.
„Europa ist für viele Menschen trotzdem die einzige Hoffnung“
Im Anschluss stellte Rosilin Bock als Vorsitzende des Fachausschusses Internationale Politik, Frieden und Entwicklung klar, dass die EU mit ihrer Abschottungspolitik internationales Recht bricht. Sie richtet den Fokus insbesondere auf die Kinder: Von den 60.000 Menschen auf der Balkanroute, sind 7-9% Kinder und besonders schutzbedürftig. „So wie hier im Herzen Europas sehen keine Flüchtlingslager im Jordan oder in Kenia aus. Das ist schon extrem. Wir reden über Lampedusa, Libyen, Mora und jetzt über Bosnien und Herzegowina. Wir müssen mit diesem Silodenken aufhören!“, betonte sie.
Kurz-und mittelfristige Lösungen müssen her, mit Geld allein kann die EU sich nicht „freikaufen“.
Ich habe für einen Paradigmenwechsel geworben. Einerseits um mehr Druck zu machen auf Länder wie Bosnien-Herzegowina und Kroatien, internationales Recht und Menschenrechte zu achten. Andererseits muss die EU umgehend sicherstellen, dass sich Frontex EU-Rechtskonform verhält, die Beteiligung an illegalen Push-Backs einstellt und Verantwortliche in seinen Reihen zur Rechenschaft zieht. Die S&D-Fraktion fordert, dass der Frontex-Chef abgesetzt und umfassende Untersuchungen eingeleitet werden. Das allein reicht aber nicht aus. Dringend nötig sind Initiativen der EU, oder wenn das nicht passiert, der willigen Länder, um die in Bosnien und Herzegowina gestrandeten Geflüchteten aufzunehmen und faire Asylverfahren zu garantieren. Ein schnelles Hilfsprogramm zur Umsiedlung vulnerabler Gruppen, insbesondere von Familien mit Kindern und minderjährigen Geflüchteten, wäre ein wichtiges Signal der Menschlichkeit und ein erster Schritt, Glaubwürdigkeit zurück zu erlangen. Viele Städte in der EU stehen bereit, um Geflüchtete aufzunehmen.
Timo Schramm, der als Vorsitzender der AG Migration und Vielfalt der Neuköllner SPD den Blick aus Berlin aufgreifen soll, fordert ein dezentrales Vorgehen. Die europäischen Städte und Kommunen, die sich gegen die Blockade in der EU-Asyl- und Migrationspolitik einsetzen, müssen stärker zusammenarbeiten. „Wir werden keine nachhaltige Europäische Lösung erreichen können. Es gibt dafür keine politische Mehrheit, denn das Bild der „Festung Europa“ ist noch immer zu weit verbreitet.“
Die ganze Diskussion könnt ihr euch hier anschauen.