Die Europawahl 2019 war zugleich ein großer Erfolg und eine große Enttäuschung. Das ist mein Fazit anlässlich des Berichts zur letzten Europawahl, den der Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) heute vorgestellt hat. Wieso? Einerseits haben wir die höchste Wahlbeteiligung seit 20 Jahren erreicht. Andererseits hatten die Wähler*innen keinen Einfluss darauf, wer Kommissionspräsident*in wurde – das war für viele eine große Enttäuschung.

Der Bericht beschäftigt sich mit der Aufarbeitung der letzten Europawahlen und zieht daraus Schlüsse für die Zukunft. Insbesondere werden Reformen des Wahlrechts gefordert, die vermeiden sollen, dass sich die Probleme des letzten Wahlprozesses wiederholen. Im Plenum wurde stark über bestimmte Aspekte des Berichts diskutiert, aber er wurde dennoch mit einigen Änderungen und einer breiten Mehrheit verabschiedet.

Der Umgang mit dem Spitzenkandidat*innenprinzip war bei der Europawahl 2019 besonders problematisch. Viele Wähler*innen waren zu Recht enttäuscht, als trotz vorheriger Beteuerungen kein*e Spitzenkandidat*in der politischen Fraktionen im Europaparlament, sondern Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin gewählt wurde. Damit wurde das Vertrauen in den Einfluss der Bürger*innen auf die EU-Politik beschädigt, was sinkende Zustimmungswerte im Rahmen der Eurobarometer-Umfragen nach der Wahl von der Leyens belegen. Daher habe ich mich in der Plenumsdiskussion dafür stark gemacht, das Spitzenkandidat*innenprinzip endlich in einen rechtlich verbindlichen Rahmen einzubinden, um solche Enttäuschungen in der Zukunft zu verhindern. Es gilt jetzt: Die Europawahl darf keine Wundertüte werden. Lasst uns mehr Demokratie wagen!

Plenum: Fazit zur Europawahl 2019

Außerdem muss Diskriminierung im Zusammenhang mit der Wahl verhindert werden. Es darf es nicht sein, dass Menschen mit Behinderungen in einigen Mitgliedsstaaten an der Ausübung ihres Wahlrechts gehindert werden. Schätzungen zu Folge konnten 800 000 Menschen mit Behinderungen bei der letzten Europawahl nicht ihre Stimme abgeben. Deshalb fordert der Bericht eine Anpassung der nationalen Regelungen zur Durchführung der Wahl, damit alle Bürger*innen ihr Wahlrecht ausüben können.

Auch andere Bevölkerungsgruppen wurden bei der Europawahl marginalisiert. So gab es zwar einen leichten Anstieg des Anteils von Frauen im Europäischen Parlament, aber Frauen sind weiterhin deutlich unterrepräsentiert. Ein besonders verheerendes Signal kommt aus Deutschland, wo nur jedes dritte Mandat an eine Frau ging. Hier gibt es einen großen Handlungsbedarf und deshalb freut es mich, dass der Bericht paritätisch besetzte Wahllisten fordert. Leider konnte ein Passus, der sich für eine Quotenregelung für die Ausschüsse des Parlaments ausgesprochen hätte, nicht durchgesetzt werden. Frauen sind  dort unterrepräsentiert, wie man im AFCO sieht, in dem ich eine von vier Frauen bin – gegenüber 24 männlichen Abgeordneten.

Die erfreuliche Nachricht lautet, dass erstmals seit vielen Jahren ein Zuwachs bei der Wahlbeteiligung verzeichnet wurde, was zu der höchsten Beteiligung der letzten 20 Jahre führte (50,66 %). Besonders optimistisch stimmt mich, dass insbesondere junge Europäer*innen vermehrt von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben. Das zeigt, dass sich immer mehr jüngere Menschen auf europäischer Ebene mit Zukunftsfragen auseinandersetzen und das Führen von politischen Debatten nicht mehr allein den älteren Generationen überlassen möchten. Diese Tendenz weiter zu fördern ist mir und der gesamten S&D ein besonderes Anliegen. Deshalb freut es mich, dass wir einen Vorschlag zur Senkung des Wahlalters für die Europawahl auf 16 Jahre in den beschlossenen Bericht aufnehmen konnten. Gleichzeitig fordern wir eine starke Rolle der jungen Europäer*innen in der anstehenden Konferenz zur Zukunft Europas. Es ist aus meiner Sicht entscheidend, dass die Generationen, die von zukunftsweisenden Entscheidungen besonders betroffen sind, eine relevante Rolle in Diskussionsprozessen spielen.

Besonders umstritten war der Themenbereich der transnationalen Listen in der Plenardebatte. Es ging darum, ob in Zukunft einige Mitglieder des Parlaments nicht über nationale, sondern über europäische Wahllisten bestimmt werden sollen. Damit könnten die Europawahlen zusätzlich „europäisiert“ und die Politik der EU zusätzlich legitimiert werden. Dafür brauchen wir ein Konzept, das auch die Sorgen kleiner Mitgliedsstaaten miteinbezieht. Die Konferenz zur Zukunft Europas muss jetzt starten, um solche weitreichenden Fragen zur Zukunft der EU mit den Bürger*innen diskutieren zu können.

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